Der Tod | 02

der anzug und das hemd kamen aus der reinigung der anzug war schwarz elegant teuer das hemd blütenweiß mit ärmeln für manschettenknöpfe die liebe ich ganz besonders die krawatte schwarz dabei in sich gemustert die schuhe glänzend poliert so das mein gesicht sich in ihrer schwärze spiegeln konnte wenn ich mich selber in die reinigung hätte geben können das wäre ja was gewesen aber nein für eine ichreinigung muss man wohl in eine therapie gehen da schieß ich mir doch lieber ein loch ins knie naja ich machte mich auf den weg zu meiner familie es war daran meinen vater zu beerdigen mir graute davor in einer so offiziellen förmlichen zeremonie von jemandem abschied zu nehmen von dem man nie wird abschied nehmen können soll man auch nicht denn nur wer jemanden in seinem herzen trägt zeitlebens der nimmt nicht abschied sondern lebt und liebt diese menschen ich fuhr mit dem zug schleppte meine reisetasche mit mir rum als trüge ich einen sack voller steine ich war einfach nur müde müde so müde das ich glaubte jahrelang schlafen zu können ich will doch einfach nur meine ruhe nicht reden müssen keine fragen beantworten keine fragen stellen stellen einfach mal den kopf abstellen nur sein in ruhe in frieden sein gelassen werden vor allen dingen lassen am bahnhof holte mich meine schwester ab und im auto dann ja da brachen sie die dämme meine dämme da gab es keinen schutz mehr vor der trauer der wut der ohnmacht zurück gekehrt in das seltsame und eigentlich verhasste gefühl von heimat heulte ich wie ein kleines kind erzählte ihr von dem schwarzen loch von dieser abgrundtiefen nacht in die ich als kind immer geriet bei der vorstellung was nach dem tod unserer eltern kommen würde und heulte heulte heulte bis wir zu meiner mutter kommen ein umarmen und mein bruder ist auch da der idiot erstmal eine rauchen etwas trinken lass sie erzählen versuche dich zu beruhigen das wird schon wieder jetzt musst du stark sein für die anderen und für dich selber

der nächste morgen kam bestimmt wie immer jeden scheisstag geht die sonne auf da möchte man den krähenden hahn vom misthaufen schießen eier legen kann der sowieso nicht ich gehe duschen schlüpfe in mein hemd knöpfe die manschetten trage meinen anzug meine schuhe binde meine krawatte bändige meine haare mein gesicht bändige das was andere sehen alles in mir drin kann ich nicht bändigen muss ich ja auch nicht einfach nur in schach halten reicht ich ziehe meinen mantel an den schwarzen mit den nadelstreifen gehe ins dorf um ein paar dinge für meine mutter zu besorgen treffe auf dem rückweg schon die ersten beerdigungsgäste die unsere wohnung suchen es ist ja nicht unsere sondern ihre weil nicht meine aber im moment des daseins dort verdrehen sich die pronomen die besitzanzeigenden worte da komm ich nicht drumrum das ist so aber es ist eigentlich falsch ich fühle mich auch nicht gut dabei nicht wahrhaftig die gäste kommen meine mutter heult einfach vom acker hat er sich gemacht ohne was zu sagen heult sie und heult ich kann ihre trauer verstehen auch ihre wut empfinde ich ja selber aber anders denn es war nicht mein mann mit dem ich jahrzehntelang mein leben verbracht habe es war mein ist mein vater sechsunddreißig jahre lang den werde ich aber nach wie vor haben den vater im herzen und im kopf in der erinnerung in mir als person denn wenn ich bilder von ihm sehe sehe ich mich das finde ich komisch erschreckend sogar aber es ist wohl so denn da komme ich her auch wenn ich da nicht mehr hingehöre ist es mein ursprung den kann ich nicht ändern schon gar nicht verleugnen wer sowas macht verleugnet sich selber und wir fahren in kirche das heißt zum friedhof in die kapelle die evangelische begrüßen schütteln hände trocknen tränen und alle sind sie da die familie der große kreis der über die jahre immer kleiner wird weil sie sterben einfach sterben an krankheit alter und wohl auch an sich selbst ich sitze in der zweiten reihe die erste muss ich nicht haben da sitzen meine geschwister meine mutter ich sitz lieber etwas hinten und neben mir da denke ich ich träume da legt jemand eine schwenkfahne hin die kenne ich nur aus dem fußballstadion millerntor denke ich millerntor aber das ist doch eine beerdigung nimm die scheiss fahne da weg aber da liegt sie und sie liegt wirklich da der pastor fängt an steht da am sarg ja da steht ein sarg und da liegt jemand drin den du liebst in dieser schmucken holzkiste mit all den blumen kränzen und dem ganzen beileidsgelöt die zeremonie beginnt geht irgendwie auch mit musik gesängen texten einem den sich meine schwester gewünscht hat der war schön aber rezitieren kann ich ihn nicht da bin ich sowieso schlecht drin ich kann ja noch nicht mal meine eigenen sachen rezitieren nur ein paar dialoge aus meinen lieblingsfilmen und na klar werbetexte nicht immer aber immer öfter und so aber wer kann das nicht
Familienausflug
der sarg ruckelt auf einem wagen gezogen zum loch da gehört er rein da kommt er rein das muss wohl so ich seh auf einmal die menschenmenge staune bin überrascht da waren bestimmt über hundert menschen wenn nicht mehr und der ganze zug wird angeführt von meinem vater hinter ihm der typ mit der schwenkfahne jetzt schnall ich das erst von der kab ist der also der katholischen arbeiterbewegung aber mein vater ist evangelisch macht ja nichts hat er sich wohl gedacht und trotzdem viel für die kab getan naja und jetzt läuft der typ mit der fahne hinter ihm her aux armes fällt mir da ein der schlachtgesang von millerntor hier aber wohl gänzlich unangebracht aber schön wäre es schon jetzt die ganzen menschen dazu zu bringen ein aux armes für meinen vater da krieg ich gänsehaut das wär doch was würde die beerdigung noch etwas würdiger machen mit einer idee von extravaganz da geht der sarg dann ab dafür in die erde der pastor sagt noch was angemessenes da gehen sie alle an das loch werfen erde oder blumen hinein vergießen eine träne verlieren einen gedanken schütteln den kopf ich kann da nicht hin ich will da nicht hin ich mach das später lieber stehe ich etwas abseits bin für mich ich trau meinen augen nicht steht da am erdloch ein duo zwei karnevalsjecken mit vereinsstandarte die sie in einem ritual über dem loch hin und her schwenken meine mutter kommt zu mir sagt ich soll die zum kaffee bei haus scharlau einladen ich sage nein das mach ich nicht wir sind doch hier nicht auf dem rosenmontagszug ihre scheiß uniform und schiffchen und diese wichsstandarte gehören da nicht hin wenn die sich verabschieden wollen sollen die das anständig machen aber nicht als solche witzfiguren die will ich da nicht sehen die beiden da gehe ich eine rauchen an der kapelle treffe auf die beiden söhne einer befreundeten familie mit denen sind wir aufgewachsen waren oft im urlaub der älteste ist schon tot mit dem motorrad hat er sich zerlegt vor zwei jahren wir treffen uns nur noch auf beerdigungen das kotzt mich an sage ich tut mir leid wenn ich das so drastisch formuliere ich rauche schweige versinke in gedanken mein ältester bruder kommt eine frau kommt auch das gesicht kenne ich von früher die sagt hallo und erzählt mir dass sie meinen vater mal gefragt hat ob er bei vier kindern nicht ein lieblingskind hätte und dass mein vater da gesagt hat das ich sein lieblingssohn sei das finde ich jetzt so richtig scheiße das sie das erzählt am liebsten würd ich sie jetzt mit dem gesicht in den dreck drücken mach ich nicht ich sage einfach nichts blicke sie so an das ihr das lächeln im gesicht gefriert das muss reichen

in der gaststätte sitzen dann alle also der familiäre und der freundeskreis der bruder meines vaters ist auch da lange nicht mehr gesehen das muss doch bestimmt ach wie lange naja aber erwachsen bist du geworden ein richtiger mann da sind soviele die ich schon seit jahren ach was sage ich seit jahrzehnten ne stimmt gar nicht das letzte mal auf dem sechzigsten das ist dann jetzt sieben jahre her komplimente kriege ich gut siehst du aus so schlank toller anzug steht dir gut das interessiert mich alles nicht das höre ich doch lieber von den frauen die ich liebe oder zumindest begehre ich versuche was zu essen geht aber nicht will nicht rein das verfickte halbe brötchen lieber eine rauchen eine nach der anderen kaffee trinken geht ja noch später dann setze ich mich an den tresen bestelle bier und cognac trinke was das zeug hält was das bewußtsein aushält ohne aufzufallen soll will man ja nicht ich setze mich zu den freunden meiner geschwister an den tisch die kennen mich noch von früher als ich nach dem abendbrot im schlafanzug vor dem fernseher saß mit denen war ich aber auch jahre später auf parties konzerten eine freundin meiner schwester mit der habe ich sogar geschlafen das weiß aber keiner muss meine schwester auch nicht vielleicht würde sie das komisch finden wahrscheinlich nicht aber man muss ja auch nicht alles erzählen wer alles erzählt ist vielleicht kein mensch mehr hat mal ein mädchen zu mir gesagt da hab ich gemeint sie hätte doch einen an der waffel ehrlichkeit wahrhaftigkeit ist oberstes gebot mittlerweile sehe ich das aber auch anders da trink ich doch lieber noch was endlich krieg ich auch hunger würge zwei drei halbe brötchen runter unterhalte mich hier und da funeral smalltalk wer hätte das gedacht da ist ja jede vernissage ein dreck gegen noch ein schnittchen oder ein glas sekt und wie fanden sie den verstorbenen so ach dein vater war ja so ein herzensguter mensch über tote soll man nicht schlecht reden aber über meinen vater kann man auch sagen was man will da gibt es wenig schlechtes außer der affäre die er mal hatte ganz kurz war die und ich hab es erst jahre später mitbekommen auch nur weil mein bruder sich verplappert hat mein bruder hat ihm damals wohl den kopf gewaschen sagt er da hält mein bruder sich für ganz groß drin im kopf waschen der schwachmat da sollte er mich mal erleben wenn ich ihm den kopf wasche den würde er im spiegel nicht mehr wieder erkennen seinen kopf so sauber wäre der dann und dann geht es ab zu meinen eltern ach nee ist ja jetzt die wohnung meiner mutter da geht es hin mit dem allerengsten freundes und familienkreis also wird nochmal gesiebt der kreis wird exklusiver hier ist die vip ecke bitteschön wenn sie kein rotes bändchen am handgelenk haben kommen sie hier leider nicht rein sie haben keins dann sind sie nicht prominent genug stehen nicht auf der liste da sitzen wir also die kinder spielen trotz des anlasses find ich okay als kind habe ich auf beerdigungen also auf den trauerfeiern auch gespielt selbst wenn ich den anlass verstand als kind geht das anders schneller die kinder spielen die erwachsenen reden erinnern trinken es gibt was warmes zum abend bier wein schnaps später noch die erwachsenen die reden erinnern sich in einen komischen rausch irgendwann werden sie fast hysterisch da wird dann auch wieder gelacht das leben muss ja irgendwie weitergehen ich denk mir meinen teil trinke es gibt so tage da kann ich trinken ohne umzufallen und das manchmal sogar ohne koks