Ein Problem kommt selten allein

Lübeck oder ein Problem kommt selten allein

Informationen, Kommentare oder andere Meldungen über das Spiel sind hier nicht mein Anliegen. Was soll ich zu einer 6:0 Niederlage noch sagen? Das Ergebnis spricht für sich. Also kein Kommentar…

Dafür gibt es andere Dinge zu erwähnen. Die Fahrt, einen St.ellingen Fan, Dosenbier, Polizei, Gruppo Elbe und Frau Möller. Aber fangen wir von vorne an.

* floet *

* floet *

Der Silversurfer hatte für uns eine Mitfahrgelegenheit über das Forum organisiert: Ein junges Pärchen aus Buxtehude machte also Halt in Hammonia und wir luden uns in den Ford ein. Uns fiel natürlich gleich auf, das nur die junge Dame St. Pauli Outfit trug, ihr Freund hingegen in Zivil gekleidet auf dem Beifahrersitz nervös in den Landkarten rumfingerte. Wir selbstverständlich in Trikots. Sogleich begann eine Diskussion über den FC und der junge Mann outete sich als St.ellingen Fan, was ja per se nicht schlimm ist. Im Gegenteil: Er war sogar symphatisch und konnte differenzieren. Das muss man sich mal vorstellen. Die Fahrt ging zügig von statten. Einzig und allein der Stopp auf der Raststätte zögerte sich etwas hinaus, da Silversurfer und ich einen großen Bogen um die Kahlrasierten Bundeswehrtypen machten, die vor uns der Toilette aufwarteten. Vorsicht ist eben die Mutter der Porzellankiste.

So kamen wir dann in Lübeck an, fanden rasch den Weg zum Stadion und parkten den Ford, machten noch die letzten Paulaner auf und unterhielten uns in geselliger Runde mit den Leuten, die um uns herum einparkten. Das Paar aus Buxtehude ging Richtung Haupttribüne und so machten wir uns auf, die restlichen Mitglieder der damals noch nicht offiziellen Aktion Süd zu treffen. Silversurfer und ich stellten uns an den Zaun nahe des Eingangs und unseres Fanartikel-Mobils. Dort beobachteten wir mal wieder mit großem Spaß die unterschiedlichen Erscheinungsarten der St. Pauli Fankultur und fühlten uns fast wie zuhause. Wenn bloß nicht die ganzen Polizeibeamten und Lübeckfans gewesen wären. Langsam aber trudelten die Boys In Black, Superfly, Bob der Ball, Marion und andere, uns gut bekannte Gesichter ein. Marion erstand noch ein Totenkopf-Top und alsbald gingen wir ins Stadion. Erstmal war nach der lästigen Durchsuchungsprozedur der Polizei ein Bier fällig. Oh Gott, welch Grauen erwartet uns an den zwei Bierbuden, die jeder Beschreibung spotteten: Flensburger Light! Das muss man sich mal vorstellen! Aber in der Not frisst der Teufel fliegen. Nichts für ungut, Superfly;) So versammelten wir uns in der Kurve, gesellig vereint und gespannt aufs Spiel. Modefan und Frau Gemahlin waren mittlerweile auch eingetroffen. Ebenso der Graf und sein Volk.

Die ganzen Doppelhalter wegen Demuths Entlassung habe ich eher beiläufig registriert. Die Art seiner Entlassung war sicherlich nicht okay aber zwangsläufige und notwendige Konsequenz. Aber das ist eine andere Geschichte.
Unsere Fans waren mal wieder schön anzusehen mit all den Doppelhaltern, Schwenkfahnen und Tapeten. Und übrigens sind nicht alle Peter Verräter. Mein Großonkel Peter (Gott hab ihn selig) war total okay und für den lege ich meine Hand ins Feuer. Und sein Gogomobil war einfach riesig. Aber auch das ist eine andere Geschichte.

Der Spielball kam also von einer Fleischerei. Soso, interessante Information. Echtes Leder also. Handgerollt vom Fleischer ihres Vertrauens.

Das Spiel konnte also beginnen und das tat es dann leider auch. Mehr sage ich jetzt dazu nicht. Nach den ersten Gegentoren flippte vor uns am Zaun ein junger Herr mit einem Gruppo Elbe Schal aus und trat immer wieder gegen den Zaun. “Der Zaun kann da nichts für” mochte man ihm zurufen. Doch besser er trat den Zaun als einen unbeteiligten Menschen. Aber war der Zaun nicht auch unbeteiligt? Nein, eigentlich nicht. Immerhin gehört er mit zum Stadion, war damit also Teil des Spiels. Na ja, kurz bevor ich diesen geistigen Diskurs zu Ende führen und zu einem Entschluss kommen konnte, wurde der junge Herr schon von seinesgleichen beruhigt. Vor allen Dingen entstand ein ganz anderes Problem: Bob war losgegangen, um Bier zu holen und kam einfach nicht wieder. War ihm etwas passiert? Und wenn ja, dem Bier gar auch? Sorgenfalten machten sich auf meiner Stirn breit, die durch den Verlauf des Spiels nicht gerade geglättet wurden. Dann wiederum ein anderes Ereignis der besonderen Art: Vor uns begann ein Streit zwischen einem jungen Paar, der darin ausuferte, das die junge Dame anfing, auf den jungen Herrn einzutreten. Prompt eilte ihr ein älterer Herr zu Hilfe und zerrte an dem jungen Herrn herum. Komisch, dachte ich so bei mir: Eigentlich gehört doch der junge Herr gerettet. Deswegen eine zügige Intervention und die Situation beruhigte sich auch schon wieder. Wo aber blieb Bob? Vor allen Dingen: Wo das Bier?

Der Abend begann sich ungeahnt problematisch zu gestalten: Wir lagen enorm zurück, Bob und das Bier blieben aus und ständig zupfte der Modefan an meinen Haaren, um Konfettireste zu entfernen. Liebevoll aber doch etwas irritierend. Auf Dauer gesehen. Aber da tauchte wie ein Deus Ex Machina der Bob auf. Sogar mit Bier. Ein Teil des Abends war erstmal gerettet. Wenn auch mittels einer Notlösung: Flensburger Light. Doch das schien die Lübecker nicht daran zu hindern, ihren Torreigen fröhlich fortzusetzen. Eine Unverschämtheit sondergleichen. Konnten sie nicht ob meiner Probleme mit ihrem Toreschiessen innehalten und uns eine kleine Verschnaufpause gönnen. Mitnichten. Sie nutzten das schamlos aus! Das muss man sich mal vorstellen. Ob dieser Unverschämtheiten und der desolaten Leistung unserer Mannschaft zogen einige von uns ihre Trikots auf Links. Ich hingegen zog es ganz aus und montierte es an meinen Gürtel. Dort hing es gleich einer schaurigen Trophäe aus einem ungleichen Kampf. Und blieb es auch den ganzen Abend.

Auch inmitten aller anderen Fans machte sich Unmut breit. Gesänge wie “Wir wollen St. Pauli sehen” oder “St. Pauli Amateure Ohohoho” wurden angestimmt und ich stimmte mit ein. Nicht um die Mannschaft, die da auf dem Spielfeldstand zu demotivieren. (Stand da eine Mannschaft auf dem Spielfeld?) Mehr um sie zu provozieren, um eine Reaktion zu erzeugen, die sich dann eventuell wiederum in einer Gegenwehr entlud. Den Lübeckern erwehren versteht sich. Aber das hatte die Mannschaft dann auch nicht verstanden. Das Spiel war aus und sie flüchteten vor den Lübeckern, den Journalisten und uns, den Fans. Leute wie unsere Nummer 8, den Eigenrauchverschnitt habe ich während des ganzen Spiels nicht so schnell laufen sehen. Na ja, vielleicht musste er auch nur aufs Klo? Wenn man 45 Minuten anhalten muss, ist das schon ganz schön hart. Einige wenige aber trauten sich dennoch zögerlich zu uns. Wir, wir klatschten, sangen und nur wenige pfiffen. Nachtreten ist unsere Sache nicht!

Auch das Lübecker Team erntete verdienten Beifall. Nur umgehen konnten sie damit nicht. Selten habe ich eine erwachsene Fußballmannschaft so verschämt gesehen.

Was blieb nach dieser Demütigung? Wir zogen uns zurück: Modefan mit Frau Gemahlin nach Trittau; Superfly lud Marion, Bob, den Tod und eine mir unbekannte Frau ins Auto; Silversurfer suchten das junge Paar aus Buxtehude und die Boys In Black liefen Richtung Fanzug. Wir verabredeten uns auf ein Abschlussbier bei Frau Möller in St. Georg. Silversurfer und ich liefen also zurück zu dem Ford des Buxtehude Pärchens, unterhielten uns unterwegs mit diversen Lübeckfans, die nicht verstanden, warum unsere Mannschaft so schlecht gespielt hatte. Wie sollten sie auch wenn dies selbst uns ein Rätsel war?

Wir trafen also auf das Paar aus Buxtehude, hievten unsere Problembeladenen Körper in den Ford und machten uns im Schneckentempo vom Parkplatz. Mehr ging nicht ob des extrem koordinierten Parksystems in Lübeck. Und dann begann die Rückfahrt des Grauens: Ich wurde von einem St.ellingen Fan getröstet! Ein Mensch, der nahezu jedes Spiel in der MVAOL sieht und diverse Auswährtsfahrten mitmacht, versucht, tröstende Worte für meine gepeinigte Seele zu finden. Das war die Demütigung schlechthin. Das hatten der Silversurfer und ich nicht verdient. Das konnte ich der Mannschaft nicht verzeihen! Die Fahrt schien kein Ende zu nehmen. Egal ob der St.ellingen Fan nun symphatisch war oder nicht. Aus sechzig Kilometern wurden sechshundert, sechstausend, sechs Millionen. Ich befand mich in meinem schlimmsten Altraum und der schien nicht enden zu wollen. Aber wie jeder Traum auch hatte auch dieser ein Ende. Gott sei Dank. Wir stiegen in St. Georg aus und trollten uns zu Frau Möller, wo auch die anderen nach und nach eintrudelten. Die Abschlussbiere konnten das Leid und die Probleme des Abends zwar nicht vergessen machen, aber sie linderten sie ein wenig. Und immerhin war das ein weiterer Schritt in Richtung “Aktion Süd, offizieller Fanclub des FC St. Pauli”.

Am nächsten Morgen hatte ich immer noch Konfetti in den Haaren. Das muss man sich mal vorstellen.