Herzblut

Autogrammstunde im Herzblut oder “We ständ raitt säär tu de Haupttribüne, äwer”

Ich bin nicht der Fan, der irgendwo hin wandert weil da die Spieler des Vereins Autogramme geben. Mein letztes Autogramm habe ich mir 1997 bei einer Lesung von Nick Hornby auf die Rückennummer meines personalisierten St. Pauli Trikots geben lassen. Das war das erste Mal, das jemand bei einer Lesung Nick Hornby ein Fußballtrikot anstelle eines Buches zum Signieren gab und sorgte für eine nette Konversation und einen witzigen Abend. Aber das ist eine andere Geschichte.

Markus & Marcus

Markus & Marcus

Nun lud also der FC St. Pauli zu einer Autogrammstunde ins Herzblut, dem Ausflugslokal für Fußballtouristen auf der Reeperbahn. So machten sich NuhNuh, Don Klo (ihres Zeichens Präsidentenpaar der Arschrocker), Superfly, Silversurfer, Bob der Ball und meine Wenigkeit auf ins Herzblut. Dort angekommen offenbarte sich eine leichte Schlange vor dem Eingang und so erwarben wir erstmal an der Esso käuflich ein paar Paulaner, um uns die Wartezeit etwas angenehmer zu gestalten. Als wir so unsere geistigen Getränke genießend vor dem Herzblut standen, kam Herr Gerber vorbei. Im Schlepptau einen adretten, haargegelten Mann. Ich fragte meine Vigilanten, wer denn der Lutscher sei, den der Herr Gerber da im Schlepptau hat? Die Ernte dieser unglaublichen Saat war Erstaunen allerhöchsten Grades: Das ist doch Pipel, unser Trainer, du Vollpfosten! Allein stand ich jetzt da und kam mir vor wie ein dummer Tor. Aber wie sollte ich jemanden erkennen, den ich meist nur aus 100 Meter Entfernung, in Trainingsklamotten oder aus der Zeitung kannte und der auf einmal adrett gekleidet und frisiert an mir vorbei ging? Gesichter kann ich mir eigentlich gut merken. Aber das war dann doch zuviel für mich. Nun gut, den Deppenpreis des Tages hatte ich schon mal so gut wie sicher. Aber auf einen mehr oder weniger in meiner Vitrine kam es dann auch nicht mehr an.

Wir also rein in den Laden, vorbei an dem freundlichen Türsteher und umgeschaut: Die Spieler saßen meist zu zweit an Tischen und Fan konnte sich dann an ihnen vorbeischlängeln, alles in einer korrekten Warteschleife um Autogramme zu erbitten. Die Autogramme bestanden aus den “Lebenslang Verhaftet” Karten, die dann mit persönlicher Widmung versehen wurden. Es sei denn, man hatte sein persönliches Relikt zum Signieren dabei. Dazu auf der Großbildleinwand Tore und Momente glorreicher St. Pauli Zeiten.

Nico Patschinski

Nico Patschinski

In aller Ruhe genossen wir zuerst ein Bier, organisierten auf unsere Dauerkarten einen Braun-Weißen und betrachteten so entspannt die Lokalität und das ihr zugefügte Event. Was mich stutzig machte war die Art und Weise, wie die meisten Spieler miteinander kommunizierten. Nämlich gar nicht. Wenige Ausnahmen wie Stanislawski und Patschinski oder Cenci und Marcao plapperten angeregt miteinander. Stanislawski und Patschinski sogar ohne am selben Tisch zu sitzen, wobei Stanislawski immer wieder aufsprang, um aufgeregt auf die Großbildleinwand zu zeigen. Ey, guck mal ,jetzt, pass auf! Aber wie gesagt waren die meisten Spieler im Umgang miteinander recht mürrisch, schüchtern oder schweigsam. Saß hier wirklich eine Mannschaft oder nur ein bunt zusammengewürfelter Haufen Jungs, die leidlich gut kicken können? Das deprimierte mich dermaßen, dass ich mein noch bevorstehendes Training aufgab und mir lieber noch ein Bier bestellte. Wenigstens das Paulaner ließ keinen Zweifel in der Qualität und Konsistenz aufkommen. An dieser Stelle sei gesagt, das ich vom Wesen her eher schüchtern bin und es ziemlich viel Kraft kostet, je nach Situation exponiert daherzukommen. Deswegen schlich ich eine Weile durch die Lokalität und rang mit mir wegen der Autogramme. Sollte ich oder sollte ich nicht? Und dann ging mir ein Licht auf: ich hatte ja mein Trainingsequipment dabei und konnte meine Torwarthandschuhe signieren lassen. Gesagt, getan und Schwupps, waren die Gloves vollgekritzelt. Dabei das eine oder andere nette Wort ausgetauscht und durch war ich durch die Spielerrunde.

Zwischendrin ging dann auch die Vorstellungsrunde der neuen Spieler los, moderiert von Ultraexperte Schäfer und dem werten Herrn Brux. Ultraexperte Schäfer verdiente sich in dieser Runde den “Professor Hastig Gedächtnis Preis”, hingegen Herr Brux deutlich souveräner auftrat. Was die Fragen betrifft, die an die Spieler gestellt wurden, so muss ich sagen, das es mir relativ egal ist, was die Jungs im Kühlschrank, respektive auf dem Herd stehen haben.

Ich trollte mich also mit meiner Trophäe zurück zu meinen Vigilanten und präsentierte stolz das Resultat meiner kleinen Exkursion. Daraufhin ging ein jeder los und sammelte Autogrammkarten, was auch demnächst hier im Netz zu bestaunen ist. Don Klo machte die seltsame Begegnung mit zwei Kutten, die Herrn Marcao versuchten zu erklären, von wo sie im Stadion aus sein glanzvolles Spiel begutachteten. Ein Englischkurs für Fortgeschrittene war nichts dagegen:” Wie ständ in se, äh, raitt to de Haupttribüne. Äwer!” Und Don Klo wurde bei der Gelegenheit auch gleich gemaßregelt mit den Worten “Ey, rauch mal den Spieler nicht so voll. Der mag das nicht.” Rauchbombenalarm im Herzblut und keiner hat”s gemerkt.

So aber hatte nun ein jeder etwas in der Hand, das nicht flüssig und im Glasbehälter war und das bunte Miteinander setzte sich fröhlich fort. Aber jetzt, wo die Hemmschwelle hinweg, der Damm gebrochen war ging es erst richtig los: Bob fotografierte NuhNuh mit Lotter und Scheinhardt und ich schlich mich mit aufs Foto. Diesen Moment, diese Gunst der Sekunde nutzte Bob, um Herrn Lotter in ein Gespräch zu verwickeln. Ich, mit extremer Affinität zu Spielertypen wie eben jenem Markus Lotter stellte mich dazu und lauschte erstmal höflich, um im entscheidenden Moment die Maslosche Habicht-Taktik anzuwenden und in das Gespräch einzusteigen (gelernt ist gelernt). So kam es dann, das wir uns angeregt, sehr offen und überraschend persönlich mit Markus Lotter unterhielten. Über die Inhalte des Gespräches hülle ich den Mantel der loyalen Verschwiegenheit. In der Zwischenzeit munterten NuhNuh und Silversurfer den Herrn Henzler auf. Was das gebracht hat, sah man später auf dem Feld der Träume. Aber einen Versuch war es wert. Während des Gespräches mit Markus Lotter ging dann auch die Podiumsdiskussion los, die mich persönlich relativ kalt ließ. Eine Bestätigung, warum Ultraexperte Schäfer den “Professor Hastig Gedächtnis Preis” verliehen bekam mochte ich meinem Gemüt nicht mehr zu Gemüte führen. Die Gesprächsrunde mit Herrn Lotter war wesentlich eloquenter und das unser Stadionsprecher sich mit Carpe Diem schon auseinandergesetzt hatte, hatte ich aus dem Augenwinkel beobachtet. Alte Derrick, bzw. Bergerschule.

Nun denn, wir verabschiedeten uns von Herrn Lotter und Superfly, Silversurfer, Bob und ich zogen los, um im Fanladen die Aktion Süd den Passanten vorzustellen und mal über eventuelle Zusammenarbeit zu reden. Da wir alle schon leicht unsere Lampen anhatten, konnten wir freudestrahlend die Aktion Süd vorstellen und Ideen, Erwartungen und sonstige Gedanken austauschen. Was mich aber wunderte war die Reaktion seitens der Anwesenden ob meiner Vorstellung “Im Forum poste ich unter Dutch_Schulz”. Habe ich da irgendetwas nicht mitbekommen? Ich bitte hiermit um vollständige Aufklärung.

Auch diese illustre Runde wollte verlassen werden und wir begaben uns in den Beatclub zu den Arschrockern. Was von diesem Abend blieb war am nächsten Morgen die Frage, welcher Knorpelkopf meine Torwarthandschuhe mit Edding vollgekritzelt hat.