Karlsruher Ledersofa

Karlsruhe oder das Ledersofa quietscht

“Und?” Ich blickte in seine graublauen Augen und sein durchdringender Blick ärgerte mich. Wir trafen uns alle vierzehn Tage und an Tagen wie diesen konnte mich sein Blick ziemlich ärgern. “1:2”, antwortete ich und starrte dabei auf den gepflegten Parkettboden. “Wie war es denn diesmal?” Herrgott, mußte er denn immer so nachsetzen? Nie gab er sich mit dem Ergebnis zufrieden. “Wie soll es schon gewesen sein? Karlsruhe ging durch eine zu kurze und ungeschickte Faustabwehr unseres Torhüters in Führung. Wir konnten aber direkt ausgleichen. Irgendwann haben sie dann das zweite Tor geschossen und das konnten wir nicht mehr spielerisch und kämpferisch kompensieren.” “Gut, das Du das Kompensieren ansprichst. Wie war es denn für Dich? Hast Du wieder den üblichen Kinderkram angestellt?” Also, dieses Mal ging er aber echt zu weit. Kinderkram! Er wußte genau, das das Fahnenschwenken, Tapete auf dem Zaun hoch halten für mich kein Kinderkram sondern vielmehr eine sehr ernste Angelegenheit war. “Das ist kein Kinderkram. Das weißt Du genau.” setzte ich mich zur Wehr. “Ja, ich bin wieder auf den Zaun gestiegen. Mit Superfly habe ich eine Tapete gehalten, auf der “Feuer” stand. Und zur zweiten Halbzeit haben wir das wieder getan. Mit der Fahne habe ich auch geschwenkt. Aber erst zum Spielende. Das sollte Ironie sein, die aber wohl keiner verstanden hat.” “Du kompensierst auf diese Art und Weise. Das habe ich Dir schon oft genug erklärt und Du solltest es mittlerweile einsehen.” Kompensieren. Ich! Pah! Ich setzte mich auf dem Ledersofa auf. Es quietschte erbärmlich und gab unter meinen Bewegungen weitere unangenehme Geräusche von sich. “Ein neues Sofa solltest Du Dir mittlerweile aber doch auch mal leisten können. Du weißt genau, das mich dieses Gequietsche jedesmal wahnsinnig macht. Und überhaupt, erkläre mir doch mal wie ich davon loskommen soll. Wie soll ich mich von diesen vierzehntägigen Anfällen lösen?” “Geh einfach nicht mehr hin!” Allein das schlug dem Faß aber jetzt wirklich den Boden aus. Einfach nicht mehr hingehen. Das sagte er so als wäre das so wie mal eben den Mülleimer runterbringen.

Ich sah ein, das mir diese Sitzungen bei ihm nicht mehr viel einbrachten. Wie sollte ich von der Sucht loskommen, alle vierzehn Tage ins Stadion zu gehen, mir das peinliche Gekicke nicht nur anzuschauen sondern es auch noch mit Fahnen, Tapeten und Gesängen zu unterstützen? “Die Regionalliga steht vor der Tür und Du sagst, ich soll einfach nicht mehr hingehen. Es ist dann wohl doch einfacher, den Therapeuten zu wechseln statt den Verein. Ich bin sechsunddreißig. Da wechselt man nicht mehr den Verein oder geht einfach nicht mehr hin. Das geht nicht. Als Kind konnte ich das tun. In den wechselhaften Launen der Kindheit und Pubertät war ich erst Fan des einen Vereins, der am Stadtrand diese unerträgliche Arena hat. Als mich Preußen Münster zu sich in die B-Jugend holte war ich dann Preußen Münster Fan. Mit meinem Umzug nach Hamburg habe ich drei Jahre überhaupt keinen Fußball geschaut und als Silversurfer mich das erste Mal mit zum FC nahm wußte ich, ich bin endlich bei dem Verein, den ich immer gesucht habe, den ich immer haben wollte. Und jetzt kommst Du und sagst, ich soll da einfach nicht mehr hingehen. Das geht nicht. Ich bezahle hier immer die teuren Sitzungen und dann sowas. Du sollst mir helfen, das Ganze zu verarbeiten und den Kopf wieder freizukriegen nach solchen Abenden. Wenn der FC einfach mal wieder gewinnen würde, dann müßte ich auch nicht so leiden. Aber auch das sagt sich so einfach. Die können nicht gewinnen. Die können es einfach nicht. Aber solange sie das nicht hinkriegen, muß ich da hin. Und wenn es in der Regional- oder Oberliga ist. Daran wird mich niemand hindern. Auch Du nicht mit Deinem quietschenden Ledersofa!!!”

Jetzt hatte ich mich wieder in Rage geredet und er hatte mich genau da, wo er mich haben wollte: Auf der Zinne. Ich sprang vom Sofa und stapfte mit dem Fuß auf. “Ich will einfach nur drei Punkte” brüllte ich, drehte mich um und riss die Tür auf. “Bis in zwei Wochen” rief ich über die Schulter zurück und verliess die Praxis. Unten angekommen stellte ich fest, das von meiner Sitzung noch eine Viertelstunde übrig war. Egal dachte ich, die Kasse zahlt ja. Und dann soll er sich von den sechs Euro fuffzich endlich mal ein gescheites Sofa kaufen…