Chemische Waffen

Freiburg oder Turnschuhe als chemische Waffe – 13.04.03

Tja, eine Zugfahrt, ist die lustig? Ja. Hin schon. Zurück manchmal weniger. Zum Beispiel dann, wenn man nach neunzig Minuten Dauersupport – der zwar Stimmung aber keinen Auswärtssieg gebracht hat – einfach im Arsch ist, keine Lust mehr auf soziale Interaktion oder Bier hat. Aber von vorn…

Freiburg

Freiburg

Die Auswärtsfahrt begann eigentlich schon Freitag: Der Großteil aller Beteiligten traf sich im Fanladen, um den Einkauf von Getränken und Lebensmitteln zu besprechen, Aufgaben zu verteilen. So kam es, das Adolf Jäger Schnitzel produzieren sollte, die zwar nicht aus Kalb aber schon aus Kalb sein müssen. Wem sich der Sinn dieses Schnitzelrezeptes nicht erschliesst, der möge sich bitte an einen gewissen Herrn mit Sonnenbrille wenden, der auf den Namen eines Blechroboters hört. Matthias kam die Kartoffelsalatproduktion und Sascha die Eierproduktion Marke Hartgekocht zuteil. Rispi und ich teilten uns für den Einkauf von Getränken und restlichen Bedürfnissen ein und so war das Kapitel schnell erledigt. Dann ging es weiter zum Lehmitz, um die Flyer für den Boykottaufruf zu verteilen. Eine relativ große Gruppe von ca. dreißig Leuten sorgte dann auch für kurzweilige Aufruhr vor dem Lehmitz, was richtig und gut war und ist. (Mehr zu dem Boykott hier.) Abschliessend wurden noch Getränke im Jolly Roger geleert und der Heimweg lag nahe.

Samstag dann wurde der Herr Bender von Rispi und mir aus dem Interconti abgeholt und zu dritt ging es Richtung Walmart, einkaufen und Sozialstudie betreiben. Im Walmart müsste eigentlich nahezu Jeder ein Schild mit der Aufschrift “Bitte nicht füttern!” tragen und jeder Schaulustige sollte zur Eintrittszahlung genötigt werden. Aber das ist eine andere Geschichte. Was bleibt, ist die erstaunliche Tatsache, das ein kleiner roter Toyota über das Fassungsvermögen für acht Kisten Astra, zwei Paletten Paulaner, eine Kiste Selter und eine Kiste Cola verfügt plus Stauraum für diverse Lebensmittel in einer Brotkiste. Das muss man sich mal vorstellen.

Nun gut, nach ein bißchen Vorschlaf und ran gucken ging es dann zum Griechen in der Schanzenstrasse. Und ja, ich war der Trottel, der vergessen hatte den Tisch zu reservieren. So mussten wir zur Taverna Romana im Schulterblatt ausweichen, wurden dort aber mit 1A griechischer Livemusik Marke “Ich bin hier, weil sie mich in meiner Heimat wegen meiner Musik verfolgen” entschädigt. Ein lautes Oppa und das Bein Sirtakimäßig in die Luft geworfen. Allein der Rennelefant wurde trotz seiner Romanaplatte, der Pizza- und Fleischreste von Nuhnuh und Ulli nicht wirklich satt. Zugegeben, die Portion war nicht standesgemäß, aber was ein Rennelefant alles so in sich hineinstopfen kann ist schon beachtlich. KLO: “Soll ich mal am Nebentisch fragen, ob die noch was für Dich übrig haben?” Orsen: “Ja bitte!”

Nach Essen und Trinken machten wir uns dann auf den Weg zum Altonaer Bahnhof, die Abteile gesucht und gefunden, die Gepäckstücke sowie Lebensmittel verstaut. Hinter Harburg war dann die illustre Runde vollständig: Adolf Jäger, Olaf, Matthias, Superfly, Heidi, Rispi, KLO, Nuhnuh, Orsen, Ulli, Brakwasa, Nils-Holger (Nein, nicht der mit den Gänsen!), Bender, Saschex und meine kleine Person. In Hannover stieg dann noch Mr. Pressestelle zu uns in den Wagen. Die ersten Biere wurden geöffnet, die Whisky-Cola Mische angerührt und der Zug inspiziert. Neben uns erfreulicherweise Dr. Dreh und Yak in ihrem Starclubabteil, bald gesellten sich Stinker und der Vokalisator zu uns und auch West Brom liess sich nicht lange bitten, mit uns ein leckeres Getränk einzunehmen. Er brachte eine Flasche Reisschnaps mit, der aber eher nach Super Bleifrei von der Shelltankstelle schmeckte. Wie man so eine Flasche leeren kann wird mir – Gottseidank – auf immer ein Rätsel bleiben. Nun denn, es wurde angegrillt. Im Zug, jawohl. Vokalisator hatte nämlich lecker Bratwürstchen dabei. Die musste man nur aus der Verpackung klauben und konnte man kalt geniessen, da schon industriell vorgebraten. Geschmacksmäßig ungefähr so, als würde man morgens mit einem dicken Schädel und Mordskohldampf neben dem erloschenen Grill aufwachen und sich die letzte verbliebene Bratwurst in den Mund schieben. Das erfordert Nerven, extrem gute, abgehärtete Geschmacksnerven…

Früh schon startete der Groundsleeping Contest, den auf der Hinfahrt in meinen Augen Orsen relativ knapp für sich entschieden hat. Sieger der Rückfahrt ist ganz klar KLO, Vertreter der Gruppo Dauerschlaf. Wobei man anmerken muss, das Adolf Jäger Sonderpunkte verdient, da er auf der Rückfahrt eine lange, aber richtig lange Schneise in die deutschen Wälder gesägt hat.

Mit den ersten Sonnenstrahlen wurde der erste Kaffee genossen, das Bier schmeckte schon wieder und das Wetter liess nur gute Gedanken zu. Endlich Sonne. Endlich Wärme. Was hätte das für ein Tag werden können. In Freiburg angekommen wurden dann auch weitere Teile der Auswärtssupportfraktion in die Arme geschlossen: Südkurve (kam frisch vom Italientrip), Astra Schwabe (mit Tannenzäpfle), der Sankt Paulipirat (und die Hosen sind doch zu weit) und die Boys In Black for him und for her. So machten wir uns in großer Anzahl mit den Anderen auf zum Münsterplatz. Dabei genoss ich als Zeitvertreib das Channelhopping: Durch die Gassen Freiburgs fliessen seitlich kleine Känale, über die man frisch und munter hüpfen kann. So von einem “Ufer” zum anderen. Das macht nicht viel Sinn, dafür aber Spass und hält fit. Ärztlich erwiesen ist das nicht, aber als Vermutung mal so in den digitalen Raum gestellt. Auf dem Münsterplatz sammelte sich also der Mob am hiesigen Brunnen vor dem Münster. Deswegen wohl der Name Münsterplatz wurde scharf geschlussfolgert. Die Fahnen wurden ausgepackt und geschwenkt, die Stühle besetzt und hin und wieder gesungen. Ergo, rauf auf den Brunnen und “Aux Armes” angestimmt. Allein Rispi “genoss” diesen Augenblick von der Ballustrade der Eisdiele, da sie schon auf der Toilette eine Stimme hörte, die ihr bekannt vorkam. Weiterhin forderten wir Hamburger Wetter und bekamen das auch prompt aus dem Springbrunnen geliefert. Und die Palmsonntagsprozession wurde auf dem Weg ins Münster von einem tüchtigen “You””ll never walk alone” angefeuert. Ein kleiner Scherz, an dem der katholische Normalmensch schwer zu schlucken hat. Dennoch großes Kino.

You never walk alone!

You never walk alone!

Aber siehe da, auf einmal war Rispi weg. Meine Nachfrage wurde von Netzmeister und Orsen mit dem Hinweis beantwortet, das sie mit ein, zwei modelmässig aussehenden Typen weg sei. Mein Konter, das KLO und ich aber ja noch hier wären provozierte einen Schmunzler und den Nachtrag, das es ausser KLO und mir noch mehr wirklich gut aussehende Männer gibt. Die Anmerkung meinerseits, das aber auch die ja noch hier wären, da ja der Netzmeister vor mir steht hatte einen Zusammenbruch desselbigen zur Folge. Tja, jeder wie er kann. Aber egal, Rispi tauchte unversehrt wieder auf und wir machten uns schliesslich allesamt mit der Tram auf zum Stadion. Dort angekommen erlebte der Tag seinen ersten Tiefpunkt: Am Einlass wurde ich aufgefordert, meine Schuhe auszuziehen. Da half der Hinweis auf meine linke eingegipste Hand genauso wenig wie die Warnung, das das in anderen Städten schon zum ABC-Alarm geführt hat wenig. Also Zähne zusammen beißen, Atem anhalten und Schuhe aus. Leider hatte ich nicht meine älteren Nike Sneakers an und so blieben die unverschämten, in schwarze Overalls gewandeten Sicherheitsleute unversehrt. Gott, was hätte ich dafür gegeben, den Typen auch nur einmal an meinen alten Nikes schnuppern zu lassen. Das dann auch noch meine Zigarettenschachtel durchsucht wurde, entlockte mir nur die müde Bemerkung, das ich die Stich- und Schusswaffen stets anal durch die Sicherheitschleusen schmuggel. War dann aber auch ein gewagter Witz. Hätte die ja auf dumme Gedanken bringen können. Aber dieser Kelch ging dann an mir vorüber und ich konnte mit meiner Gruppe in das Dreisamstadion eintauchen. Nach dem ersten Schluck Light Bier sackte meine Laune um weitere Tiefpunkte. Nicht weil es kein echtes Bier gab, sondern vielmehr wegen der immer schlecht schmeckenden Alternativen. Dann doch lieber ein Spezi und ””ne Wurst, was dann auch beides okay war.

So gesellten wir uns dann zu den USPlern und Passanten, fädelten dort ein, um den Beginn des Spiels und den hoffentlich weiteren, positiven Verlauf tatkräftig zu unterstützen. Eine schöne Geste der Freiburger war das Einspielen von Hells Bells, das die Mannschaftsaufstellung begleitete. Das war es dann aber auch. Zum Spiel nur soviel, das weitere schöne Gesten ausblieben. Eine davon wäre gewesen, das Herr Golz den Elfmeter hätte reinlassen können. Eine weitere wäre gewesen, den Ball in das Freiburger und nicht das eigene Tor zu bugsieren. Noch eine wäre gewesen, den Meier vor dem Spiel zum Profi zu machen, um ihn nicht auf der Bank sitzen lassen zu müssen. Und eine wirklich schöne Geste wäre der sofortige Gang unserer Mannschaft zur Gästekurve gewesen. Aber was red ich? Wer bin ich schon, um das einzufordern? Wir schicken ja nur, dem Aufruf unseres Präsidenten folgend ein paar hundert Emails an den Verein, um die Spieler aufzumuntern, zu motivieren und stehen mit 2000 Leuten im Breisgau, machen neunzig Minuten extrem guten Support. Apropos Support: Der war ganz groß und in der zweiten Halbzeit teilweise Gänsehaut pur und hat mir einen weiteren Bruch in der Gipsschiene eingebracht. Denn merke: Auch mit Gips ist gut klatschen. Zwar nicht so laut, aber dafür funzt es optisch! (Was den Präsidenten betrifft, so beschleicht mich sukzessive das Gefühl, von ihm als Fan instrumentalisiert zu werden. Herr Littmann spielt auf der Klaviatur der Rethorik und Emotion und ich Lemming stolper hinterher, mit dem Kopf direktemäng gegen die Wand.)

Fazit aber immerhin, das unser Team sich supergut verkauft hat und ein Auswärtssieg nicht unverdient gewesen wäre. Mit dem Gefühl, wäre, hätte und würde ging es dann auch raus aus dem Stadion und der Frust stand in vielerlei Gesichtern. Gerade weil Ahlen gegen Trier zu gewinnen wusste und so das rettende Ufer wieder etwas unerreichbarer, unwahrscheinlicher geworden ist. Nützt ja nix, denkt sich unsereiner und sammelt seine Gefährten ein, macht sich auf den Weg zur Tram. Vor uns zwei torkelnde, wirklich echte “Pauli Fans”, die dann erstmal gegen das erste Garagentor schifften. Meine Anmerkung, “das man hier Gast ist und zuhause auch nicht unbedingt gegen das eigene Garagentor schifft” führte zu einem verbalen Scharmützel, das ich mit der Ermahnung “Ihr habt gleich ein echtes Problem!” vorläufig, zumindest für meinen Teil beendet habe. Irgendwie musste ich meine Wut in den Griff kriegen. Sich nach so einer “Zwei Punkte Niederlage” noch von solchen Asseks die Berechtigung “Pauli Fan” sein zu dürfen absprechen zu lassen, hätte das Fass auch beinah zum Überlaufen gebracht. Aber Gottseidank bin ich ja auch “Sankt Pauli Fan”. (Wobei ich diesen kleinen Maulwurf schon als Kind ganz niedlich fand.) An der Trambahn wurden wir aber durch die vielen aufmunternden Worte der Freiburger getröstet und für das eine oder andere traurige Moment entschädigt. Und schön war dann auch die Tramfahrt zurück, bei der der Herr Bender allergrößte Schwiegersohn- und Charmeurqualitäten bewies. An einer Haltestelle stieg eine echt alte Dame ein und ihr silberbeschlagener Gehstock machte mir erstmal Angst. Was könnte die damit ausrichten, wenn die jetzt Amok läuft? Aber nicht mit Herrn Bender: So rührend, fürsorglich und liebevoll hat sich wohl selten jemand mit der alten Dame in der Freiburger Tram beschäftigt und ich rief dann auch gleich den Tramfahrer ob er aufgrund seines Kaptitänsstatus hier nicht ””ne spontane Trauung vornehmen könne. Konnte er aber leider nicht. Schade eigentlich…

Nun gut, zurück am Bahnhof war bei vielen anderen die Stimmung auch nicht besser: Auf der Bahnhofsbrücke standen ein paar “Veteranen” und mein Zuruf “Jungs, nicht springen. So schlimm war es auch nicht und wir schaffen das schon.” wurde mit dem Vorschlag, mich die Brücke runterzuwerfen quittiert. Bloss weiter. Nicht stehenbleiben, nicht kontern. Lieber am Bahnhof in südländischer Ruhe eine Pide kaufen, in letzter Sekunde in den Zug steigen und so Rispi einen kleinen Herzinfarkt zuführen. Schnell noch per Kusshand den Astra Schwaben verabschiedet und los ging es. Es ging nämlich so los, das ich mit Superfly die erste Schicht im Partywagen hatte. Supergroßes LiLaLaune Kino. Wir beide hatten vom Singen nämlich kaum noch Stimme und haben uns über Handzeichen und Schlagertanzchoreo verständigt und amüsiert. Gott, was war ich froh als die Schicht zu Ende war. Allein die Superfliege musste man nachts um keine Ahnung wieviel Uhr aus dem Partywagen zerren…

Ich hingegen begab mich relativ schnell in unser Abteil, schnackte dort mit Heiko, Bender und KLO, legte mich aber bald hin und schlief eine Weile neben Klo, Boys In Black for him und Heidi bis, ja bis Nuhnuh kreischend ins Abteil stolperte um uns an Ihrer Freude über den, bei der Tombola gewonnenen Rucksack teilhaben zu lassen. Schöner Rucksack. Stimmt. Ist schon klar. Ich habe früher auch immer mitten in der Nacht meine komplette WG aus den Betten geholt, wenn ich auf dem Nachhauseweg am Zigarettenautomat ””ne Serie hatte 😉 So schlich ich mich ins Nebenabteil, wo Rispi, Bender und Adolf Jäger schlummerten und gesellte mich dazu.Der Gesang der Schienen wiegte mich in den Schlaf und immer wieder ertönten sanfte Chöre, die glorreiche Gesänge auf Sankt Pauli anstimmten. Bis, ja bis mich das ohrenbetäubende Geschnarche des Herrn Jäger wieder ins Leben zurück rief. Egal, was soll””s? Weitergeschlafen so gut es ging und bald war man ja auch da im schönen alten Hamburg an der Elbe…