Groundsleeping 02

Stuttgart und Mainz oder die große Kunst des Groundsleepings – Teil Zwei

Nachdem ich also aus dem Schlaf erwacht war und die komplette zweite Halbzeit verpasst hatte war der Spott entsprechend und an Schelmereien wurde nicht gespart. Das konnte aber nicht über meine unglaubliche Leistung hinwegtäuschen: Ich hatte im ausverkauften Gottlieb-Daimler-Stadion inmitten des schottischen Gästeblocks ca. 50 Minuten geschlafen.Tief und fest. Und ich war definitiv nicht betrunken! Na, das soll mir mal einer nachmachen: Groundsleeping. Aber nur wer auch eine komplette Halbzeit in einem “fremden” Stadion verschläft, darf Punkte aufschreiben. Ausland gibt natürlich mehr und Groundsleeping in Südamerika dürfte kaum zu toppen sein.

Mainzer Wunderkerze

Mainzer Wunderkerze

So versammelten wir unsere Gruppe und nahmen die Stuttgarter Innenstadt in Angriff. Der Großteil – also alle bis auf Superfly, der einfach überstimmt wurde – zogen es vor, erst einmal eine ruhige Location aufzusuchen, um etwas auszuspannen. Nach U-Bahnfahrt und recht langem Fußweg gelangten wir in eine nette Bar mit netter Bedienung, tranken dort zwei drei Biere und verabschiedeten uns bald von Florian. Mit einiger getankter Ruhe zogen wir in Richtung eines Irish Pubs, der allerdings schon zu war. Egal, rechts daneben war ein Brauhaus, noch offen und voller Schotten. Gib Schub Rakete und rein ins Vergnügen. Auch hier wurden wir von den Schotten freundlich und zuvorkommend als “Sänt Poolie” Fans begrüßt, wieder wechselten Worte und alkoholische Gtränke die Besitzer. Allein ein älterer Herr mit Stuttgartschal tangierte uns mit “Absteiger” Rufen. Der gute Mann hatte aber die Rechnung ohne die zahlreichen schottischen Wirte gemacht und wurde flugs von einem lauten “Sänt Poolie” Chor niedergebrüllt. Kim setzte mit “Ihr seid nur München für Arme” noch einen drauf und die kleine Stuttgarter Gemeinde, angeführt von diesem älteren Herrn war alsbald mundtot gemacht. So kann das gehen. Wer schiesst muss immer mit dem Rückstoss rechnen. Oder besser gesagt: Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Fresse halten.

Schliesslich machten wir uns auf zum Auto. Allerdings nicht ohne die vielen Stuttgarter Polizisten mit (eher spassig gemeinten) “Bambule” Rufen zu verunsichern. Man kann davon ausgehen, das so manch Stuttgarter Polizist noch heute im Wörterbuch oder bei www.wissen.de versucht, das Wort Bambule nachzuschlagen. Das focht uns nicht an, im Gegenteil: Frohgemut erreichten wir des Schwaben Häusle und tranken in gemütlicher Runde Bier. Da ich es nicht mag, neben Leuten zu schlafen die schnarchen, quartierte ich mich auf die Matratze im Flur. Superfly schlief ebenfalls in seinem Schlafsack dort. Seine Behauptung, ich hätte geschnarcht ist an dieser Stelle nicht verifizierbar und sowieso eine Unverschämtheit sondergleichen. Und kann mir mal jemand erklären, in welchem Kontext ich Adolf Jäger die Zunge in den Hals gesteckt habe als wir noch auf dem Sofa saßen? Ich bitte um Aufklärung.

Am nächsten Morgen war das Hallo groß und das Frühstück reichhaltig. So gestärkt packten wir unsere Gepäckstücke und ließen der hiesigen Burg Stettenfels eine Besichtigung zukommen. Man ist ja kultiviert und weiß die deutsche Geschichte zu würdigen. Dann ging es auf gen Mainz. Superfly, Astra Schwabe, Adolf Jäger und ich im Schwaben Großraumauto und Mosh, Kim und Olaf im Moshschen Opel. An der Tankstelle noch Rauchwaren und Bier erstanden und los konnte es gehen. Für Beschallung sorgte SWR 1 mit diversen musikalischen Einlagen aus unserer Jugend: “Boat On The River” von Styx (Siebte Klasse, Barbara), “You Took The Words Right Out Of My Mouth” von Meat Loaf (Neunte Klasse, Susanne) oder auch “You””re So Vain” (Grundschule, Gabi) von Carlie Simon seien hier nur beispielsweise erwähnt. Adolf Jäger wünschte sich per Anruf beim Sender das “Herz von St. Pauli”. Allein durch ein Losverfahren werden Wünsche und Grüße erfüllt. Ob das Los uns hold war werden wir wohl nicht mehr erfahren.

In Mainz angekommen wurde die erste Tankstelle angefahren, um Urin zu lassen und zu tanken. Ein Parkplatz in Stadionnähe war schnell gefunden. Hatte ich in Heilbronn Adolf Jäger noch ermahnt, keinen Müll aus dem Fenster zu werfen, versenkte ich jetzt meine leeren Dosen hinter einem heruntergekommenen Zaun, der ein ebenso heruntergekommenes Grundstück umsäumte. Diese Tat strafte mich also Lügen. Dennoch konnte ich mit einem feisten “Moral kann man sich eben auch zurecht trinken!” kontern. In diesem Sinne: Prost!

Wir fanden uns recht zügig vor dem Gästeblock ein. Es war noch reichlich Zeit und – was für ein glücklicher Zufall – befand sich schräg gegenüber ein Edeka Getränkemarkt und eine kleine Einkaufspassage. Dort parkten wir unsere Körper, organisierten Getränke und warteten auf den Rest der uns persönlich bekannten Fangemeinde: Boys In Black (for him), Boys In Black (for her), Modefan, St. Pauli Boy mit Schwester, Cliff, Orsen, Fanladen Heiko, Sven Brux, Bender mit Freundin (!), Altona 93 und und und. Auch hier sorgte mein Groundsleeping für Erheiterung und mehr als einmal wurden darüber Gesänge angestimmt. Auch unsere Aktion Süd wurde in Aktion Müd umgetauft. Jaja, wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Aber was soll””s? Groundsleeping sag ich nur. Erstmal nachmachen und dann lachen. Superfly, Modefan und ich zogen noch durch die Passage, hielten vor einem Cafe voll mit Mainzern und skandierten: “Wir steigen auf und ihr nicht!” Diese nettgemeinte Provokation sorgte ebenfallsfür großes Gelächter bei den Anwesenden.

Viel Gelächter, diverse Biere später also gingen wir ins Stadion. Es wurden noch Wunderkerzen verteilt, die in den Block geschmuggelt werden sollten. Passten gerade noch so zwischen den Schritt, wo sich schon eine Flasche Jever befand. Am Stadioneingang war die Ordnung – ähnlich Braunschweig – extrem seltsam: Ein kleines Türchen für soviele Menschen. Das kann doch nicht funktionieren. Leute, das weiß man doch einfach. Die Stimmung war dementsprechend angespannt aber bis auf kleinere verbale Scharmützel und einen Ordner, der nervös die zweite als Ausgang geöffnete Tür den einströmenden Fans vor der Nase wieder zudrückte blieb es ruhig. Im Stadion selber war die Einlasskontrolle recht harmlos, es gab Mainzer Baseballcaps auf lau (diese Billigdinger, die jeder noch so kleine Supermarkt in den Staaten als Give Away hat), alkoholfreies Bier und reichlich Platz für unsere Reisegruppe auf den Rängen. Der Platz wurde recht schnell recht eng, da der Gästeblock ähnlich Stuttgart sehr voll wurde. Wir verteilten unsere Wunderkerzen und so wurde der Einlauf unserer Mannschaft von einem Wunder verheißenden Leuchten begleitet. Der Support war einer der Besten: fast durchgängig wurde gesungen, gerufen, geklatscht und so war es als würde das ganze Stadion Sankt Pauli supporten. Ich für meinen Teil habe von den Mainzern, die zweifelsohne anwesend waren fast nichts gehört. Aber auch unter uns gibt es den ein oder anderen Supportunwilligen. Meine Teilnahme an der Schalparade wurde belohnt mit: Ey, nimm die Scheisse runter, ich seh nix!” Wer denken kann ist klar im Vorteil und so gab ich nach. Das Tor von Held liess die Stimmung höher und höher kochen und auch der Mainzer Ausgleich konnte dem keinen Abbruch tun. Immerhin hatten wir beim Aufstiegsaspiranten ein Unentschieden, einen Auswärtspunkt erkämpft. Das die Atmosphäre von Übergriffen Mainzer Fans und Ordner getrübt wurde erfuhr ich erst später. Aber soviel sei gesagt: Die Angegriffenen haben sich geschlossen zur Wehr gesetzt. Echten Respekt dafür. Und wie sagt Pectoris so schön: Wer Gewalt säät kann die Ernte gleich mitnehmen.

Das Spiel fand dann auch ein Ende, der Support aber nicht und wir wurden von der Mannschaft dementsprechend gebührend verabschiedet. Das Ende unserer Reise ist entsprechend schnell erzählt: Wir teilten uns auf unsere Autos und Busse auf und fuhren durch die dunkle Nach gen Heimat…

Schaltet Sie wieder ein wenn Superfly die Parole ausgibt “Passt aber auf, das der Capo nicht wieder einschläft!”.

In diesem Sinne: Gehabt Euch wohl.