Kölner Bock

Köln oder welchen Bock schiessen wir heute?

Leere. Eine unheimliche, beklemmende und absurd laute Leere herrscht in meinem Kopf. Das ist doch nicht neues, würde jetzt so manche einer rufen, um mich zu verhöhnen. Aber dieser Spott prallt an mir ab. Denn ein anderer Schmerz ist viel größer, tut mehr weh und macht sprachlos. Der Schmerz hat einen Namen, der Schmerz hat ein Gesicht, er hat eine Spielstätte genauso wie viele Väter, Mütter, Brüder und Schwestern: FC St. Pauli, was wird mit Dir, was wird mit uns? Muss ich wirklich erst nach Burghausen fahren, um Dich wieder gewinnen zu sehen? Muss erst der Himmel über unseren Gegnern zusammenbrechen? Aber von vorn…

Welchen Bock..?

Welchen Bock..?

Montag trafen wir Burghausenfahrer uns im Tipple Inn, um Details für die Auswärtsfahrt in dieses beschauliche Örtchen zu planen. Es galt, die nüchternen Momente zu nutzen, um Aufgaben zu verteilen und eine reibungslose Fahrt zu organisieren. Klo und ich waren uns schnell einig, das wir Freitag mit dem Wagen der Hochverehrten Pauli Tante die Getränke besorgen, der Rest war ebenso fix geklärt und so konnten Superfly und ich uns aufmachen, dem Fanladen noch einen Besuch zugute kommen zu lassen. So begaben wir uns dorthin, kühlten unsere aufgeregt erhitzten Gemüter mit einem Bier. Der Graf war zugegen, um den Verkauf des “Stadions” zu organisieren und einige weitere bekannte Gesichter wurden mit Unterhaltung konfrontiert. Anschließend ging es dann endlich zum Millerntor. Wir gesellten uns an den Pro 15:30 Stand auf dem Vorplatz, um dort brav Flyer zum Thema Gewalttäterkartei zu verteilen. Der Strom der Kölner Fans wollte informiert werden. Jedoch waren die meisten der Kölner schon extrem betrunken, so dass nur Superflys Bemerkung “Lest das mal wenn ihr wieder nüchtern seid” als klare Anweisung in benebelte Köpfe drang. So bleibt es zumindest zu hoffen. Ich für meinen Teil dachte, dass es diesen Kölner doch nichts ausmachen würde, drei Punkte bei uns zu lassen. Die würden das doch noch nicht mal merken!!!

Nachdem der Stand im AFM Container verstaut wurde, konnte ich endlich in der Südkurve zur Aktion Süd stoßen. Ein großes Hallo, da wieder recht zahlreich Anwesenheit zu notieren war. Allein die Mütze vom Silversurfer ließ mich stutzen: Er trug ein weiß-blaues Matrosenmützchen a la Tick, Trick und Track. Wie man es eigentlich nur vom Kinderkarneval kennt. Wollte er dem Burghausenmotto vorgreifen, sich mit den Worten “Mann über Bord” über den Zaun aufs geheiligte Grün werfen oder einfach nur gastfreundlich dem Kölner Karneval huldigen? Ich bitte um Aufklärung, Herr Silversurfer.

Dann entrollten wir unsere Tapete “Welchen Bock schiessen wir heute?”, um sie zuerst den Zuschauern in der Südkurve zu zeigen, damit ein jeder weiß worum es geht. Einzig und allein ein Verzweifelter wollte mich darauf aufmerksam machen, dass die Tapete doch zum Spielfeld hingehalten werden müsste, damit die Spieler das lesen könnten. Mein Freund, was rauchst Du, um deinen IQ so auf null zu fahren? Mit dem Erklingen der Glocken stiegen wir auf den Zaun, hielten die Tapete hoch, Schwenkfahnen und Doppelhalter schnellten in die Höhe und es wurde Alarm gemacht. Und es kam was kommen musste: Das DSF ließ auf sich warten und zögerte den Einlauf in eine unendliche Länge, der Hells Bells Loop reichte kaum aus und auch mein Allerwertester meldete trotz abgeflextem Zaunrand Protest an. Ganz zu schweigen von den Aktivisten an den Schwenkfahnen, dessen Arme lahm wurden ob dieser schamlosen Verzögerung. Doch dann endlich liefen die Protagonisten ein, wir stiegen wieder vom Zaun und Herr Krug blies zum fröhlichen Halali auf den Kölner Geißbock. Und es sah gut aus, verdammt gut. Tod und Teufel, nach fünfzehn Minuten gingen wir 1:0 in Führung, der “Song 2” brüllte endlich wieder durchs Millerntor und es durfte gejubelt werden. Allein Saschex, Exilkölner und Millerntorgegengeradensteher war Gast in der Südkurve und frustriert; schlug sein Herz heute doch für den 1. FC Köln. So konnte er auch unsere nett gemeinten Spottgesänge nicht lustig finden. Aber der Knoten war geplatzt und so musste er leiden. Das Leid hatte aber ein schnelles Ende, da ein gewisser Herr Scherz für die Kölner ausglich und wir so mit einem Unentschieden die Spieler in die Katakomben entschwinden sahen. In der Halbzeitpause verteilten wir Konfetti in der Südkurve. Das Konfetti war von den Boys In Black liebevoll aus Zeitungen hergestellt und das Vorlesen von Artikelfetzen sorgte für extreme Heiterkeit unter uns “New Economy Victims”: “Das Werk meldet Insolvenz an”, “Bewerbungsoffensive” und “53jähriger sucht Anstellung. 23 Jahre Aussendiensterfahrung”. Jaja, wir Wirtschaftswaisen haben unseren Humor nicht verloren.

So war es leider aber auch bei den Kölnern: Herr Scherz ließ es sich nicht nehmen seine Truppe mit zwei weiteren Treffern in Führung zu kaspern. Unser Anschlusstreffer sorgte zwar für eine imposante Aufholjagd, der Abpfiff von Herrn Krug setzte dieser aber ein unrühmliches Ende. Verloren. Wieder zuhause verloren. 2:3. In Worten Zwei zu Drei. Jetzt kann man sagen, es wurde gekämpft und immerhin haben wir wieder ins Tor getroffen. Aber dafür können wir uns nichts kaufen: keinen Klassenerhalt, keinen neuen Präsidenten, kein neues Stadion, keinen besonnenen AFM Vorsitzenden, keine neuen Bauwagenplätze oder Wohnprojekte, keinen neuen Innensenator. Ein Kampf, der nicht zum Sieg führt, zählt wenig. Denn was zählt ist der Sieg, was zählt sind die drei Punkte, die uns von den Abstiegsrängen bringen. Das zählt. Nicht mehr und nicht weniger!
Mit dem Abpfiff entrollten wir eine weitere Tapete: “Das war der falsche!”. Ich war mir aber sicher, dass von den Spielern niemand mehr diese Aussage in den Kontext der ersten Tapete stellen konnte. Ich war außer mir. Zwar ruhig und freundlich nach außen hin. Aber innerlich total außer mir: Verzweifelt, wütend, traurig, frustriert und ohnmächtig. Mit all diesen Gefühlen und Stimmungen in mir zog ich dann mit den Boys In Black und Superfly zum Fanladen. Immerhin konnte ich dort eine erfreuliche Premiere feiern: Heiko hatte endlich das langersehnte Paulaner Weißbier und so konnte ich ein würdiges Paulaner in netter Runde trinken, nicht allein mit meinen gemischten und unguten Gefühlen. Wir besprachen noch einiges wegen Burghausen, diskutierten auch die erneut stattfindende Demo und Boys In Black (for him) hatte in diesem Kontext ein gute Idee für eine Tapete: “Sieg oder wir legen Euer Kaff in Schutt und Asche!” Eine Rückfrage aber bei Heiko ließ uns diesen Text relativieren, da keiner von uns riskieren möchte, dass mit dem Entrollen der Tapete die bayerische Polizei das Stadion spontan evakuiert.

... nicht den!

... nicht den!

Nun denn, die Boys In Black und Superfly verließen den Fanladen gen Heimat und ich genoss noch ein Paulaner, begab mich dann mit Heiko und Cathrin zum Jolly Roger. Danach zog ich noch kurz in das Radau, traf Nuhnuh, Klo, Bob und Saschex, schloss Frieden mit dem Kölner Sieg und wollte mich nach Hause begeben. Nur die Herren in Grün hatten ob der Demo den Nachtbus verlegt und so war eine Suche von Nöten, um den Heimweg anzutreten, was mir dann aber auch noch gelang. Zur Demo nur soviel: Ich stehe voll und ganz zu den Inhalten. Aber das Demolieren von Privatbesitz im eigenen Viertel und Gewalt als Reaktion auf staatliche Exekutive ist meine Sache nicht. Und mittlerweile habe ich das “Räuber & Gendarm” Spiel von süddeutschen Erstsemestern in meiner geliebten Heimat echt satt!

P.S.: Nein, die Südkurve wird nicht in Benno Ohnsorg Kurve umbenannt und die Aktion Süd wird auch kein Martina Effenberg Transpi entrollen.