Kolumne sanktpauli 02

“Pauli ist doch Kult.”

“Wie kannst du das nur verkaufen? Das ist doch total geil.”, fragte er mich und hielt ein Rüschenhemd aus den 70ern in den Händen, das ich an meinem Flohmarktstand anbot. “Erstens gibt es soetwas in jedem zweiten Secondhand-Laden. Zweitens ist es zwar original, aber damit nicht zwangsläufig Kult. Und drittens ist das nicht mehr mein Geschmack”, erwiderte ich. “Aha”, sagte er verständnislos, liess das Hemd auf den Stapel zurück plumpsen und fingerte in einem anderen Haufen ungebügelter Klamotten, fischte dabei ein altes St. Pauli T-Shirt heraus. “Kultig”, freute er sich. “Ein Pauli Shirt”. Wieder anderen Dingen zugewandt drehte ich mich um, schaute auf das T-Shirt und grinste. “Wieso Pauli? Da ist doch der Maulwurf garnicht drauf.” “Welcher Maulwurf? Das ist doch ein Pauli Shirt!” “Pauli ist der Zeichentrick-Maulwurf aus “Der Sendung mit der Maus”. Dieses kleine schwarze und allerliebst anzuschauende Tierchen, das clever durch die Filme stratzte. Wenn du über unseren allseits beliebten Stadtteilverein sprichst, so heisst das “St. Pauli.” “Ah, ich seh schon, du hast echt keine Ahnung. Aber ich geb dir zwei Euro für das Shirt. Okay?”

Definition:
Kult, Kultus – [der; lateinisch, “Pflege”]: der “Umgang” mit der Gottheit in Wort und Handlung (vor allem Gebet und Opfer), meist in festen, durch Gewohnheit oder durch bewusste Fixierung seitens einer Religionsgemeinschaft entstandenen Formen. Im Kultus sind religiös-spirituelle Anliegen mit sinnlichen Formen (Symbolen) mehr oder minder eng verbunden. Die Mystik, die allen Wert auf das inwendige Leben der Seele legt, sucht meist eine Abwendung vom sinnenfälligen Kultus zugunsten einer kult- und formlosen Frömmigkeit. Von der Seite prophetischer Religiosität aus (z. B. im Alten Testament) hat sich in der Religionsgeschichte vielfach Protest gegen den äußerlichen Kultus erhoben, wenn er der stets nahe gelegenen Gefahr der Veräußerlichung und Mechanisierung erlegen war.

Cogito Ergo Sum
St. Pauli ist keine Gottheit, sondern immer noch ein Fußballverein. Allerdings stelle ich das Beten und Opfern jedem freiwillig zur Entscheidung. Die Gewohnheit und Fixierung auf Formen akzeptiere ich, werden sie doch durch den Rythmus der Spieltage und dem eigentlichen Spielablauf vorgegeben.

Hoffen
Haltet ein in der Mechanisierung des Kults, denn dadurch wird er zwangsläufig unglaubwürdig, da nicht mehr entwicklungsfähig. Eine reine Veräußerlichung bedeutet eine Sinnentleerung, die den Kult zur Hölle macht und die Werte verachtet und verschwinden lässt. Lebt St. Pauli, aber stellt es nicht uniformiert zur Schau, um Eure eigene Sinnesleere auszufüllen oder gar zu überdecken. Schlimmer noch, der Kult wird auf dem Markt feilgeboten, um seiner eigenen Rettung, obwohl es ihn in seiner angepriesenen Form nicht mehr gibt.